Kassen "made in Gießen" (Gießener Anzeiger vom 03.04.2021)

ProduktionsschildIn der Nachkriegszeit wurde in Gießen die Lahn-Registrierkassen GmbH gegründet. Helmut Fritz, Sohn des Mitbegründers und Konstrukteurs Willy Fritz, hat die in der Öffentlichkeit kaum bekannte Firmengeschichte recherchiert und eine große Sammlung zusammengetragen. Hierfür sucht er nach Zeitzeugen sowie weitere Objekt und Dokumente.

Es ist ein Kapitel Gießener Industriegeschichte, das nur wenigen bekannt sein dürfte: Von 1946 bis 1980 existierten die Lahn-Registrierkassen GmbH und die daraus hervorgehenden Nachfolgefirmen. Unzählige Geschäftsinhaber weit über Mittelhessen hinaus setzten auf deren Erfindungen und Produkte, um stets einen genauen Überblick ihrer Finanzen zu haben. Die ursprünglich noch komplett elektronikfreien Kassenmodelle waren aus bis zu 2500 Einzelteilen gefertigt und bei ihrer Bedienung nicht gerade leise. Als Clou verfügten manche Modelle über eine kleine Marmorplatte oberhalb der Lade, die anhand des Klanges darauf fallender Münzen erkennen ließ, ob es sich um Falschgeld handelte oder nicht Doch das ist nur eines von vielen Dingen, die Helmut Fritz im Gespräch mit dem Anzeiger über die Firmengeschichte zu erzählen weiß. Der 75-Jährige hat durch seine langen Recherchen inzwischen eine große Sammlung zusammengetragen, das reicht über Originaldokumente wie etwa Firmenbelege und Bedienungsanleitungen bis hin zu ganzen Registrierkassen.

Dass sich Helmut Fritz so sehr engagiert, hat einen guten Grund: Sein Vater Willy Fritz war gemeinsam mit Kurt Ziegler Gründer der GmbH und hat einige der Nachkriegsmodelle konstruiert und dafür die Patente besessen. Helmut Fritz hofft nun, weitere Zeitzeugen zu finden und zusätzliche Objekte der Sammlung hinzufügen zu können. Gibt es doch „noch so einige Lücken zu füllen“. Langfristiges Ziel sei es, dem Oberhessischen Museum anzubieten, zumindest Teile der Sammlung in Gießen für die Öffentlichkeit auszustellen, strebt der ehemalige Lehrer an.

Spinnräder und Gail-Hilfe

Streng genommen beginnt die Vorgeschichte der Lahn-Registrierkassen GmbH sogar schon 1929. Willy Fritz war damals als Techniker beim National Registrierkassenwerk in Berlin angestellt, aus dem während des nationalsozialistischen Regimes die National-Krupp Registrierkassen GmbH wurde. Aufgrund des Zweiten Weltkriegs stellte man die Produktion ein und Helmut Fritz Vater wurde als Soldat nach Gießen geschickt, um sich hier am Alten Flughafen als Werksmeister um die Wartung der in Flugzeugen eingebauten Bordgeräte zu kümmern. 1944 aber war damit Schluss, „weil es kaum noch Benzin für die Flieger gab“, erzählt der Rentner. Schließlich wurde sein Vater beim Fronteinsatz in Ost-Preußen verwundet und geriet in Kriegsgefangenschaft. Daraus entlassen, floh er mit seiner Familie nach Gießen, „weil er das gut kannte“, so Helmut Fritz. Nicht viel später begegnete Willy Fritz seinem künftigen Kompagnon Kurt Ziegler und die Dinge nahmen ihren Lauf.

NCR Ladenkasse 1960Als die Lahn-Registrierkassen GmbH von den Beiden im Juli 1946 gegründet und ins Gewerberegister eingetragen wurde - „Das kostete 113 Reichsmark“, wie der 75-Jährige anhand des damaligen Belegs zeigt lag Gießen weitgehend noch in Schutt und Asche. Die Not war groß, vor allem Lebensmittel waren knapp. Und so hatten die Firmengründer und ihre Beschäftigten, die vielfach selbst Flüchtlinge waren, eine großartige Idee: Sie bauten für einige Zeit Spinnräder und tauschten diese auf dem Land gegen Nahrungsmittel. Trotz der schwierigen Bedingungen ging es mit der GmbH schnell aufwärts, was auch der Hilfe einer prominenten Gießener Industriellenfamilie zu verdanken war. So stellte 1950 der Inhaber der Gail'schen Zigarrenfabrik, Dr. Georg Gail, Fritz und Ziegler das komplette, leer stehende Firmengebäude im Erdkauter Weg zur Verfügung. „Anfangs sogar kostenlos, denn er wollte, dass wieder Leben reinkommt“, so Helmut Fritz. Zu diesem Zeitpunkt hatten die neuen Registrierkassen längst ihren Weg auf den Markt gefunden, wie das Schwarz-Weiß-Foto der 1948 stattgefundenen „Gießener Industrieausstellung“ zeigt In den Folgejahren wuchs die Belegschaft auf über 100 Beschäftigte an, wobei die Mitarbeiterzahl in diesen Jahren ein Detail ist, wofür Helmut Fritz ebenfalls noch Dokumente sucht. Dasselbe gilt für Angaben über Verkaufszahlen der Registrierkassen. „Ich weiß, dass sie auch ins Ausland exportiert wurden und die Firma unter anderem auf der Hannover-Messe ausgestellt hat“, fand er heraus.

Der technische Fortschritt machte auch vor den Registrierkassen nicht halt. Die manuell betriebenen Apparate, mit denen nur die Tages-Gesamtsumme für den Geschäftsinhaber ermittelt werden konnte, bekamen im Laufe der 50er Jahre immer stärkere Konkurrenz durch elektronisch funktionierende Kassen. „Erst hiermit konnten die eingegebenen Beträge addiert und Kassenbons für die Kunden ausgedruckt werden“, erläutert Helmut Fritz, dessen Vater in dieser Zeit aus dem Unternehmen ausgeschieden war.

Kooperation mit Stadtarchiv

Und so kam es schließlich dazu, dass die Gießener Firma von der Max Matthiesen GmbH aus Hannover aufgekauft wurde und sich der Name entsprechend änderte. Im Schiffenberger Weg entstand ein neues Firmengebäude, das „von der Bezirkssparkasse Gießen mit einem Kredit von einer Million Deutsche Mark" gefördert wurde, berichtet Fritz Als erfolgreichstes Kassenmodell der auf 3oo Mitarbeiter angewachsenen GmbH erwies sich der „Maximal“. Doch auch diese Erfolgsgeschichte hielt nur eine gewisse Zeit an. 1971 übernahm der US-Konzern National Cash Registry (NCR) die Gießener GmbH, womit sich der Kreis schloss. Denn schon das Berliner National Registrierkassenwerk, in dem Willy Fritz 1929 angefangen hatte, war ein Tochterunternehmen des amerikanischen Konzerns gewesen.

Der VorstandMit dem Gießener Stadtarchiv arbeitet Helmut Fritz bereits eng zusammen. Zumal es vor einer angestrebten Museumsausstellung zunächst einmal gilt, die Sammlung strukturiert aufzubauen und einzelne Fundstücke zeitlich einzuordnen. Schließlich muss alles hieb- und stichfest sein, wenn es dauerhafter Archiv-Bestandteil werden soll. Stadtarchiv-Leiter Christian Pöpken ist aber schon jetzt begeistert von dem Vorhaben. Dass, wie nun Helmut Fritz, ein Bürger von sich aus auf das Stadtarchiv zukommt, gleich so viele Dinge auf einmal mitbringt und sich schon seit Jahren so intensiv mit der Materie beschäftigt, „ist ein absoluter Glücksfall". Zudem sei dieser Teil der Stadtgeschichte interessant, „weil Gießen nicht so sehr industriell geprägt war wie zum Beispiel Wetzlar“, sagt Pöpken. Daher sind die Archivbestände zu diesem Thema längst nicht so umfangreich wie andere und ist hier jede Ergänzung umso mehr willkommen. Sobald die Archivierung aller Sammlungsstücke abgeschlossen ist, möchte Christian Pöpken mit der Leiterin des Oberhessischen Museums, Dr. Katharina Weick-Joch, besprechen, ob und wie die Geschichte der Lahn-Registrierkassen GmbH und ihrer Nachfolgefirmen in eine Ausstellung integriert w erden kann.

Helmut Fritz freut sich über jedes Fundstück und jede Information, die ihm helfen, die Sammlung zur Lahn-Registrierkassen GmbH und ihren Nachfolgefirmen zu erweitern. Und die dann auch Eingang ins Stadtarchiv oder Oberhessische Museum finden könnten. Kontaktieren kann man ihn per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., oder über seine Postadresse: Helmut Fritz, Schlangenpfad 10, 55745 Herborn

(entnommen dem Gießener Anzeiger vom 03.04.2021, Autor: Frank-O. Docter)

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